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WISSENSCHAFTSZENTRUM PHAENO Das Ufo ist gelandet Von Dirk Meyhöfer Mit dem Phaeno baute die Stararchitektin Zaha Hadid in Wolfsburg ein Erlebnismuseum nach internationalem Vorbild. Ihr spektakulärer Bau schwebt auf zehn Betonkegeln und bietet eine fließende Landschaft aus Beton und Glas, in der Wissenschaft mit spielerischen Experimenten erfahrbar gemacht wird. Weil ihrer radikal-schroffen Architektur zugetraut wird, ramponierte städtische Orte neu zu ordnen, gewann die Erfolgsarchitektin Zaha Hadid im Jahr 1999 den Wettbewerb für ein Wissenschaftsmuseum, das heute Phaeno genannt wird. In einer Autostadt wie Wolfsburg ist ihr erklärtes Lieblingsmotiv, die Dynamik, sehr willkommen. Die Wetten auf einen Erfolg der Unternehmung waren also schon während der Bauzeit sehr hoch. Im Feuilleton der "Süddeutschen Zeitung" wurde geschwelgt: "Ein kompromissloses Haus, mehr Skulptur als Behausung, mehr außerirdisches Wunderding als die ästhetische Quersumme aller Trends eine Herausforderung für die Generation Golf."
Ihr Ufo ist nun gelandet und hat Bodenkontakt aufgenommen. Heute wurde das Gebäude der Presse vorgestellt, am Freitag wird das Phaeno für das Publikum eröffnet - an einem Ort der städtebaulichen Bankrotterklärung aus den siebziger Jahren, direkt neben dem Wolfsburger Bahnhof. Wichtigste Ordnungsfaktoren sind ausgerechnet vier Schornsteine des VW-eigenen Kraftwerks (1938-39, Mewes, Kohlbecker, Gaggenau, Schupp Kremmer), das auf der anderen Kanalseite die gigantische Autofabrik dominiert. Es war der Wunsch der Stadtoberen, diese marode Situation am so genannten Nordkopf der Stadt mit einem ähnlichen "Ausrufezeichen" zu markieren wie im Süden mit dem 1973 erbauten Stadttheater von Hans Scharoun. Mit Volkswagen als Hauptsponsor wurden 79 Millionen Euro in den 16 Meter hohen Bau investiert, der jährlich bis zu 180.000 Besucher anlocken soll. Zaha Hadid versucht, all ihre Bauten optisch vom Boden zu trennen, sie schweben und dann perfekt landen zu lassen. Le Corbusier tat es auch so. Deswegen entstehen unter dem Hausbauch des Museumsmonolithen nun öffentliche "Gewölbe" für Events. Zehn Betonkegel mit einem Durchmesser von bis zu sieben Metern, in Hadids Diktion "Cones" genannt, verankern das Gebäude am Boden und entfalten sich oben im Museumsraum zu gigantischer Höhe. Ein neuer Typus des Technikmuseums Innen soll man laut Eigenerbung mit "den Ohren sehen", "Sekunden lang schweben" und "die Leichtigkeit des freien Falls erleben können": also keine Miniaturausgabe des Deutschen Museums am Mittellandkanal, sondern ein Ereignis für alle Sinne zwischen Bauch und Hirn. Und, um im Bild der Naturwissenschaft zu bleiben, mit einem Katalysator, der Architektur heißt. Hier könnte tatsächlich der Anlass für eine zu erwartende Erfolgsstory liegen: Wissenschafts- und Architekturinteresse werden im Phaeno verknüpft. Ursprünglich als Stadtmarketing-Maßnahme gestartet, hat Museumsdirektor und Ex-Kulturamtsleiter Wolfgang Guthardt fast sieben Jahre darum gekämpft, auf der Entwicklungslinie amerikanischer Science Museen mit Kreativität und Spaß eine originelle Erlebnislandschaft entstehen zu lassen. Einen der renommiertesten Westküsten-Eventmacher, Joe Ansel, hat er von seinen Scoutreisen mitgebracht. Unter Ansels Regie entstand die permanente Wissenschaftsausstellung mit 250 Experimentierstationen. Hier soll Technik mit spektakulären Versuchen und Demonstrationen begreif- und erfahrbar gemacht werden. Der größte Feuertornado der Welt schleudert seine Flamme über fünf Meter in die Höhe. In einem Wellentank lässt sich beobachten, wie sich ein Tsunami aufbaut. Die Besucher können wie bei einem Crash-Test gegen eine gepolsterte Wand laufen oder mit Joysticks die Krabbelbewegungen zweier großer Metallkäfer erforschen. Keyword: Landschaft Bautypologisch gesehen ist das Phaeno also ein Container für Event- und Ausstellungsflächen. Aber einer, der geschickt aufgeständert und überdehnt wurde. Dessen Rechtwinkligkeit durch einen Riesenhammer zerbeult, dessen Flächen zerstört und demoliert scheinen. Und so entstand tatsächlich ein Zwitter zwischen Wunderding und Skulptur. Die meisten Besucher werden per Rolltreppe in eine fließende, monochrome Welt der Wülste, Wellen und Wölbungen transportiert und dann verführt. Architektonisch gesehen entsteht so eine Geschichte von Grenzüberlappungen und Fluss. Dabei gehorcht das Phaeno auch dem Begriff Landschaft, was außen logischerweise üblich ist, aber eben auch auf der Hauptausstellungsebene mit ihren 3000 Quadratmetern durchgehalten wird. Die Nutzfläche ist ein stützenfreier Raum, der sich über eine Länge von bis zu 170 Meter erstreckt und durch eine kräftige Fachträgerraumdecke aus Stahl gekrönt wurde, die auf fünf der "Cones" aufliegt. Diese Decke verbirgt nichts und integriert die notwendige Belichtungstechnik. In dieser Landschaft wechseln sich die einzelnen Ausstellungsinstallationen, Mini-Labors und Aufbauten ab wie Leuchttürme auf einer Nordseeinsel - unübersehbar aber geborgen. Für die wissenschaftliche Experimentierwelt steht vor allem das Hauptgeschoss zur Verfügung, aber auch eine höher liegende Galerie, die mit einem sanften Rodelhang direkt in die Hauptebene übergeht. Die Themen der Ausstellung sind: "Leben, Licht und Sehen, Bewegung, Wind und Wetter, Mikro und Makro, Energie Materie, Information, Spiele". In den "Cones" können und sollen ein Bistro, ein Wissenschaftstheater und andere Elemente angesiedelt werden. Die geschwungenen Wände der Stützen fließen über in den Boden und bilden dabei Balustraden und Bodenwellen. Die Bühne der Ausstellungs-Landschaft entsteht also aus dem Schwung der Architektur und auf einer Bodenplatte, die auf fast 3000 Quadratmeter fugenlos verlegt wurde. Collage und Hybridisierung Die experimentierfreudige Radikalistin Zaha Hadid ist Pritzkerpreis gekrönt, somit gilt ihr Werk als "State of the Art". Sie hat Themen der "Collage und Hybridisierung", der "Dialektik und Dynamik" oder des "Landens und Fliehens" in die heutige Architekturdebatte gerückt. Sie lässt immer das volle Spektrum von 360 Grad in ihre Skulpturen einfließen. Der Rechte Winkel bleibt bei ihr ein ungebetener Gast. Das Phaeno ist neben dem Zentralgebäude des neuen BMW-Werks in Leipzig ein weiterer Baustein in der XL-Kollektion von Zaha Hadid. Jahrzehnte lang hatte die britische Architektin nur gezeichnet, doch die Zeit ihrer Fingerübungen ist jetzt vorbei. Zwischen Leipzig und Wolfsburg gibt es viele Parallelen, doch während am Leipziger Industriebau die Rauheit des äußeren Auftritts wohl eher nicht stört, geht es in Wolfsburg um einen Kult(ur)bau, weswegen der Materialmix aus Beton, Alucobond und Glas vielleicht ein bisschen zu roh finden kann. Aber wahrscheinlich ist die Schroffheit eine anständige Antwort auf das hybride Wesen Wolfsburg.
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